Eberhard Mock - 03 - Gespenster in Breslau by Marek Krajewski

Eberhard Mock - 03 - Gespenster in Breslau by Marek Krajewski

Autor:Marek Krajewski [Krajewski, Marek]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
veröffentlicht: 2014-10-16T22:00:00+00:00


Breslau, Freitag, den 5. September 1919,

Viertel vor ein Uhr nachmittags

Mock betrat sein Zimmer und fächelte sich mit den Visitenkarten Luft zu. Wirth und Zupitza saßen immer noch auf den schweren Stühlen. Zupitza hielt den Siphon und spritzte Sodawasser in die hohen Gläser. Eins davon drückte er Wirth in die Hand, das andere dem gerade hereingekommenen Mock. Der stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter und warf Risses Visitenkarte auf den Tisch.

»Wir fahren jetzt dahin.« Er wies mit seinem kurzen Finger auf die von Smolorz gekritzelte Adresse. »Ihr werdet das tun, was ich euch gesagt habe, allerdings mit einem Unterschied: ihr werdet nicht Risse verfolgen, sondern die Person, die ich verhören werde. Ob das nun der Hausmeister oder ein Nachbar sein wird.«

Hinter der Tür zu Ilssheimers Büro war lautes Schimpfen zu hören.

»Was ist das für eine Ordnung! Was soll das hier!« Ilssheimers Stimme war tief und grollend vor Wut. »Domagalla, Sie sind derjenige, der in unserem Archiv für Ordnung sorgen sollte!«

»Herr Kriminalrat, es kann doch sein, dass die Nutte diese Tätowierung erst kürzlich hat machen lassen!« Mock hörte in Domagallas Stimme verzweifelte Entschlossenheit. »In unserem Verzeichnis sind die Leute alphabetisch geordnet, nicht nach besonderen Kennzeichen.«

»Sie haben keine Ahnung von unserem Katalog«, knurrte Ilssheimer. »Ich habe selbst einige Unterkataloge erstellt – unter anderem das Verzeichnis von besonderen Kennzeichen, die helfen sollen, Personen zu identifizieren. Kommissar Mühlhaus hat mich persönlich darum gebeten! Wissen Sie warum? Damit man im Falle eines Falles, wenn Probleme mit der Identifizierung einer Leiche auftauchen, darauf zugreifen kann. Und nun, wenn mich Mühlhaus nach dem Selbstmord einer Nutte bittet, dass ich eine Frau mit einer Sonnentätowierung auf dem Hinterteil in meinem wunderbaren Archiv finde, was soll ich ihm dann antworten? Soll ich sagen: ›Lieber Herr Kommissar, es tut mir leid, ich kann eine solche Frau nicht finden, weil mein Archiv ein einziger Misthaufen ist!‹?«

Domagalla antwortete so leise, dass Mock es nicht hören konnte.

»Verdammte Scheiße! Erzählen Sie mir bloß nicht, dass diese Professionelle während des Krieges hierherkam, zu einem Gastauftritt, und dass sie deswegen nicht in unserem Archiv auftaucht. Weil ich nämlich während des Krieges für das Archiv zuständig war, und da waren alle Register in bester Ordnung!«

Domagalla murmelte wieder etwas. Mock legte das Ohr an die Tür und lauschte – nun schrie Ilssheimer nicht mehr, er zischte, was ein Anzeichen für höchste Aufregung war.

»Herr Domagalla, mir ist selbstverständlich bewusst, dass es in den Gefängnisarchiven eine genaue Beschreibung aller tätowierten Insassen gibt …«

Mock sprang von der Tür weg. Nein, unmöglich … Hier konnte es nicht um Johanna gehen, die Mutter der kleinen Charlotte, die Geliebte des Werftdirektors Wohsedt. Sie war doch nicht auf einen »Gastauftritt« nach Breslau gekommen, sie war eine anständige Penelope, die der Heimkehr ihres Helden Odysseus harrte. Erst als dieser nicht aus dem Krieg der Nationen zurückkehrte, begann sie, das älteste Gewerbe der Welt auszuüben. Mit Sicherheit hatte sie nicht im Gefängnis gesessen, wo man ihr eine Tätowierung auf den Hintern hätte machen können. Mock nahm sich vor, wieder einmal seine bewährte Methode einzusetzen, die heute schon beim Gespräch mit Ilssheimer Erfolg gezeigt hatte.



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